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Chronik einer Insel
Insel Norderney

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Teil 2

Ostfriesischer Kurier und NBZ (Serie erschien vom 18.11.2017 - 23.12.2017)

Der Augenzeuge Hekelius schildert die Katastrophe

In der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember 1717 war der aus Obersdorf bei Eisleben stammende Pastor Johann Christian Hekelius (1687-1746) in Resterhafe bei Dornum Augenzeuge der verheerenden Weihnachtsflut. Gemeinsam mit seiner Frau, der Tochter des Auricher Stadtpredigers Christian Funck, und dem erst einjährigen Sohn überstand er heil die Naturkatastrophe. Wenige Wochen danach, vom 25. auf den 26. Februar 1718, erlebte die Familie eine zweite schwere Sturmflut, die das durch den ersten Orkanund vielen Deichbrüchen schon weithin verwüstete Land an der ostfriesischen Nordseeküste nochmals heimsuchte.

Tief beeindruckt vonden Naturgewalten und ihren Folgen verfasste der Geistliche, dessen Kirche und Wohnhaus auf einer hohen Warf nach der Weihnachtsflut nur noch wie eine Insel aus den Wassermassen ragten, eine "Ausführliche und ordentliche Beschreibung derer beyden erschrecklichen . . . Wasserfluthen in Ost-Frießland und denen meistens an der Nord-See gelegenen schönen Ländern" wie die niederländischen Provinzen sowie Jever, Butjadingen, das Elbe-Weser-Gebiet und Dithmarschen. 1719 ließ er das Werk in Halle verlegen. Die Informationen stammten von vielen Gewährsleuten, die ihn auf seine Bitte hin mündlich und schriftlich mit Nachrichten und amtlichen Unterlagen versorgt hatten.

Mit Einwilligung von Haro Joachim von Closter, Patron der Herrlichkeit Dornum, begab sich Hekelius im Herbst 1718 auf Reisen, um in mehreren Städten über die große Flut zu sprechen und im Rahmen sogenannter Buß- und Bittpredigten Geld zu sammeln. Er besuchte unter anderem Quedlinburg, Halberstadt, Halle, Leipzig, Torgau, Dresden und Jena. Drei Texte der Predigten sind als Anlage zu seiner "Beschreibung" erhalten geblieben.

Karl Heinz Wiechers würdigte den Einsatz des Seelsorgers für die Opfer der Katastrophe und dessen schriftstellerische Leistung im 1997 erschienenen zweiten Band des "Biographischen Lexikons für Ostfriesland".
Zitat: "Der Vorzug der Chronik liegt in der Dokumentation durch einen unmittelbaren Augenzeugen mit dennoch nötigem Abstand, nachdem er sich alle Begebenheiten vergewissert hat und insofern, wie er selber schreibt, verlässliche, glaubwürdige Angaben liefert. Dass er die Sturmflutkatastrophe als ,gerechtes Gericht des erzürnten Gottes’ auffasst, schmälert seine Leistung in keiner Weise."

"Der Zorn Gottes"

Tatsächlich sah Hekelius in der Flutkatastrophe, dem in den Jahren zuvor eine Rinderpest und eine ungewöhnliche Mäuseplage voraufgegangen waren, ein "Strafgericht Gottes". Der Zorn des Allmächtigen, so predigte er, traf die Küstenbewohner, weil sie die Sonn-und Feiertage nicht mehr heiligten, sondern durch "Betrug, Handel, Wandel, Fressen und Saufen und Versäumnis des Gottesdienstes" entwürdigten. Er geißelte Saufgelage, die sonnabends ihren Anfang nahmen und dazu führten, dass die "von Bier und Branntwein erhitzten" Zecher am Sonntag ihren Rausch ausschliefen und nicht in den Kirchen erschienen.

Doch auch der Aberglaube beschäftigte Hekelius, wenn er von einem jungen Bauern aus Dornumergrode berichtete, der die große Flut schon vier Jahre zuvor vorausgesagt und behauptet habe, dass auf dem Höhepunkt ein Gaffelschoner über das Festland segeln werde. Die Prophezeiung, so Hekelius, erfüllte sich: Ein Segelschiff, das sich in der Orkannacht im Emder Hafen losgerissen hatte, trieb über das aufgepeitschte Wattenmeer bis Dornumersiel, wurde über den flachen Deich geworfen und strandete bei Fulkum. Der Resterhafer Pastor will es lange Zeit von seiner hohen Kirchwarf aus gesehen haben.

Jammer und Elend

Die von Hekelius verfasste "Beschreibung" der Weihnachtsflut beginnt mit einer allgemeinen Situationsschilderung. Das folgende Zitat (übertragen in die heutige Schreibweise) spricht für sich:

"Man sah nichts als Jammer und Elend ... Denn von allen Seiten um uns herum ... war nichts anderes als wütendes und schäumendes Wasser, das sich so vermehrte, als wenn kein Einziger unter uns dessen Grausamkeit entgehen sollte. Die Winde stürmten und die Wasserwogen brausten so erschrecklich, dass wir hätten verschmachten mögen vor Furcht und vor Warten der Dinge, so über uns kommen sollten ... Man sah hier und da ganze und halbe Häuser antreiben ... Man wurde gewahr großer Balken, Stützen von Häusern, Bretter, Sparren, Latten und andere Materialien, daraus die Häuser bestanden, welche teils an die Ufer ausgeworfen, teils aber weiter mit fortgenommen wurden. Sah man dorthin, so kamen Kisten, Kasten, Stühle, Bänke, Betten und Bettengewand, auch Kleider.

Sah man an einen anderen Ort, so kamen zugleich mit solchem Hausgerät arme Menschen angeschwommen, die auf einem Stück ihres umgerissenen Hauses oder auf ein wenig Stroh saßen, (die) teils bis unter die Arme nackend und jämmerlich in eiskaltem Wasser saßen und immer von einer hereinschlagenden Wasserwoge nach der anderen so angefallen wurden, dass sie oft unters Wasser kamen. Einige richteten sich zwar etliche Male wieder auf, ... doch da sie ganz erstarrt und abgemattet so oft angefallen wurden, kamen sie nicht wieder hervor, sondern versoffen vor unseren Augen ... Sah man auf eine andere Seite, so kamen Kühe, Pferde, Schafe, Hühner und Gänse angeschwommen, die aber schon im Wasser erstickt waren."

Häuser "gehen fort"

Wie Hekelius schreibt, hatte er sich am Heiligen Abend auf den Gottesdienst am ersten Feiertag vorbereitet und sich dann mit der Familie zur Ruhe begeben.

Zitat: "Ich hatte zwar ... fast die ganze Nacht hindurch das Stürmen der Winde gehört, war auch der Deiche wegen nicht wenig bekümmert, wiewohl als ich mutmaßte, dass sich der Wind noch nicht in Nordwest gedreht, sondern noch einen guten Strich von Süden hatte, so war ich einigermaßen noch in mir selbst zufrieden, lag auch bis in die Morgenstunde, da ich aufstand ... Allein da kam bald die traurige Post (Nachricht), dass das Wasser im Lande wäre. Nun hatte ich von dergleichen niemals gehört, deshalb ich mir’s auch nicht vorstellen konnte, als es in der Tat war ... Nicht das Allergeringste konnte man gewahr werden, so man Land hätte nennen mögen, man mochte sich hinwenden wo man wollte, so waren’s lauter Fluten. Die Hälfte meines Gartens, der an meinem Haus liegt und etwas bergab geht, war schon überschwemmt, und an dem Ort, wo er am niedrigsten ist, standen Apfelbäume, von welchen man kaum die Gipfel noch sehen konnte. Wie einem zumute ist, wenn manden Tod allmählich ankommen sieht, der einem den letzten Streich auf solch grausame Art versetzen will, das kann (sich) ein jeder leicht denken ... Viele Häuser waren schon fort, ehe der Morgen kam, viele gingen noch fort vor unseren Augen."

Auf Dächern hockten Menschen, die um Hilfe schrien und doch nicht gerettet werden konnten, "weil Fahrzeuge fehlten und das Wasser zu ungestüm war". Im Umfeld seiner Wohnstätte auf der Resterhafer Kirchwarf sah es aus, "als wenn der grausamste Feind Haus gehalten hätte", berichtet Hekelius. Zwischen Treibgut, das sich meterhoch auftürmte, lagen acht tote Kühe, die an der Warf gestrandet waren. An ihren Ketten hingen noch Teile der Ställe, mit denen sie fortgerissen wurden.

Einige Tage nach der Orkanflut trieben in der Nähe der Kirchwarf drei Frauen und zwei Männer auf einem aus Holz und Stroh zusammengebauten Floß an. Sie waren die einzigen Überlebenden einer Gruppe von 13 Personen, die sich in Neßmersiel auf ein Hausdach gerettet hatte, dann aber von der unbändigen Gewalt des Wassers fortgerissen worden war. Die Frauen starben bald nach ihrer Rettung an den erlittenen Strapazen.

Die sieben Gänse

Hekelius war der erste Chronist, der über die wundersame Errettung des Pächters Arien Onnen aus Kiphausen bei Dornum berichtete. Der nur mit einem Hemd bekleidete Mann musste hilflos mit ansehen, wie sein Weib und die Kinder nach und nach ertranken. Er selbst ließ sich von einem Baum auf einen Heuhaufen fallen, auf dem er zwei Tage und Nächte ausharrte, bis er endlich auf einer Anhöhe aufgefunden und geborgen wurde. Den Rettern erzählte er, dass sich in den bangen Stunden sieben Gänse um ihn versammelt, sich auf seinen Leib gesetzt und ihn erwärmt hätten.

In der Herrlichkeit Dornum brach der Deich an zwei Stellen. 262 Menschen ertranken, 67 Häuser gingen zugrunde. In Westeraccumersiel blieben von 77 Gebäuden nur drei, in Dornumersiel von 48 nur vier übrig. Erst am Tagnach Weihnachten legte sich der Sturm. Auch nach 300 Jahren lassen die von Pastor Herkelius verfassten" Beschreibungen" und andere Quellen aus ganz Ostfriesland die Geschehnisse in der Weihnachtsflut 1717 wieder lebendig werden. Die Lektüre bleibt spannend.

Deichbruch

"Deichbruch" nannte der Wilhelmshavener Maler Alfred Eden-Bant die von ihm 1941 geschaffene Darstellung (Öl auf Holz) einer Flutkatastrophe an der ostfriesisch-oldenburgischen Nordseeküste. Das Original befindet sich im Ostfriesischen Landesmuseum in Emden.

Land unter nach der Sturmflut

"Land unter nach der Sturmflut", Gemälde von Poppe Folkerts, 1946. Die Szene erinnert an die Weihnachtsflut 1717, als die Überflutungen nach mehreren Deichbrüchen auch die auf einer Warf gelegene Kirche in Resterhafe erreichten, wo der Pastor Johann Christian Hekelius die Naturkatastrophe erlebte und zwei Jahre danach in einem Buch dokumentierte.


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